So war es bei der VIDEONALE 2023
Ein Bericht von Claudia Peter
Das Universum vor der Haustür
Die Videonale zeigt filmische Geschichten aus nah und fern
Eigentlich sind sie Weltenbummler. Jedes Jahr bringen Ilke und Toni Ackstaller bunte Eindrücke von Natur und Kultur in anderen Erdteilen mit und packen sie in neue filmische Erzählungen. Dann zwang Corona das vielfach preisgekrönte Filmerehepaar zum Zwischenhalt in heimischen Gefilden, und siehe da, vor der eigenen Haustür entdeckten die Ackstallers ein neues Universum. Cetonia Aurata hießen die geheimnisvollen Eindringlinge, die sich zunächst als weiße Würmer mit beträchtlichem Ekelfaktor zu Dutzenden im heimischen Kompost fanden.
Nicht lange, und aus Ekel wird Staunen: Ein Busch im Garten ist auf einmal übersät mit wunderschönem Getier: Der goldglänzende Rosenkäfer hat sich niedergelassen, zur Nachwuchs-Produktion. Das tut er alle vier Jahre, erfahren wir. Das Weibchen deponiert die befruchteten Eier im Kompost. Dort schlüpfen, genau, die weißen Würmer, Engerlinge genannt. Drei Jahre lang wühlen sie sich durch den Kompost und sorgen nebenbei dafür, dass dessen Qualität stark wächst. Dann ist Zeit für die Verpuppung, damit im Frühjahr darauf wieder einmal goldglänzende – und streng geschützte – Käfer die Büsche bevölkern.
Die Videonale der Filmfreunde Ebersberg, auf der dieser genau beobachtete Heimatfilm lief, gehört fest zum Jahresablauf in der Kreisstadt. Sie ist immer ausverkauft, so auch in diesem Jahr. Kein Wunder, denn jenseits der stets hohen Qualität der Filme ist ein besonderer Service inbegriffen: Man wird immer schlauer.
Foto: Erwin Demel
Dass der Aralsee im heutigen Kasachstan und Usbekistan, einst so groß wie ganz Bayern, heute dank kommunistischem Planungswahns kaum noch Wasser enthält, wissen viele. Es war eine der größten Umweltkatastrophen des 20. Jahrhunderts. Doch wo ist das Wasser hingekommen? Das weiß (fast) nur Erich Heucke. Eigentlich ist der passionierte Hobbyfilmer und Glaziologe ein erfahrener Chronist der Klimakrise im Alpenraum. Bei einer Dienstreise nach Usbekistan verschlug es ihn jedoch in die Wüste. Dort fand er sich am Ufer eines riesigen Sees wieder, der in den 70iger Jahren entstanden ist. Damals würgte eine neue Talsperre einen Zufluss des Aralsees, den Syrdarja, förmlich ab. Überflüssiges Wasser aus dieser Talsperre wurde ins usbekische Tiefland abgelassen. Das so entstandene Gewässer, der Aydarsee, ist heute siebenmal so groß wie der Bodensee. Die usbekischen Behörden baten Heucke, seine Tiefe zu messen, doch ganz nebenbei entstand ein grandioses filmisches Porträt des Wüstengewässers, an dem bereits mehr als 100 Arten von Wasservögeln leben. Sie sind Umweltflüchtlinge, die sich selbst umgesiedelt haben, fort von der verseuchten Pampe, die einst der Aralsee war.
Filmschaffende und ihr Publikum in Ebersberg haben ein paar Dinge gemeinsam: Sie sind häufig männlich und in der Regel über 60. Künstliche Intelligenz ist nicht so ihr Thema. Doch sie ist die Zukunft, wie nicht nur die Streiks in der Filmbranche Hollywoods beweisen. Die Filmgruppe des Franz Marc-Gymnasiums Markt Schwaben unter Leitung von Peter Rohmfeld war angstfrei und hat die Künstliche Intelligenz Chat GPT zur Produktion ihres Beitrags vom Fleck weg engagiert. Es entstand der Kurzfilm „Rapunzel, märchenhaft“, der schwungvoll-satirisch eine Beziehungskiste unter Teenagern erzählt. Lehrer Peter Rohmfeld war mit einem weiteren Beitrag vertreten, der ganz real auf Kunst und Schönheit setzte: Er entführte sein Publikum in die Hügel Umbriens und zeigte, dass Landschaft und Jazz manchmal zu einer Einheit verschmelzen können.
Experimentell unterwegs ist auch Erwin Kesel. Er versucht in „Der weiße Kranich“, die fließenden Bewegungen der asiatischen Kampfkunst Tai Chi in Filmsprache zu übersetzen. Ein sparsamer, konzentrierter Einsatz der Elemente führt tatsächlich dazu, dass sich die innere Ruhe, die der Film transportiert, auch in den Zuschauern ausbreitet.
Wenn im Ebersberger Eventkalender Videonalezeit ist, dann steht der Advent vor der Tür. Und da hat Ebersberg schon wieder etwas Besonderes zu bieten, den traditionellen Krippenweg. Erwin Demel hat viele der 62 Krippen mit der Kamera eingefangen und zeigt, wie kreativ und exotisch sich die Weihnachtsgeschichte abbilden lässt. Ein toller Vorgeschmack auf die reale Krippensaison, die drei Wochen später beginnt.
Weihnachten ganz anders – dieses Thema hat Toni Ackstaller nicht zum ersten Mal nach Äthiopien geführt. Dort, genauer in der Touristenhochburg Lalibela, wird jedes Jahr Mitte Januar nach der Geburt die Taufe Jesu gefeiert. Timkat, so heißt das Fest, besteht aus zweitägigen farbenfrohen Prozessionen. Die Kirchen sind in dieser 2500 Meter hoch gelegenen Stadt buchstäblich aus dem Felsgestein herausgemeißelt. Jede Kirchengemeinde hat ihren Tabot, ihre nachgebildete Bundeslade, die feierlich zum Festplatz getragen wird. Um die Taufe Jesu zu symbolisieren, wird das Wasser in einem kreuzförmigen Pool von den höchsten Würdenträgern geweiht und anschließend in die Menschenmenge verspritzt.
Zwei Tage dauert das ausgelassene, von vielen Tänzen geprägte Fest, und am Ende stürzen sich die Jungs der Stadt in den Pool und toben darin herum, äußerst unbeeindruckt vom geweihten Status des Wassers.
Ilke Ackstallers Lieblingsgegend könnte der Süden Südamerikas sein. Sie äußert sich nicht, aber jedes Jahr stellt sie mit schöner Regelmäßigkeit kaum erforschte Ecken des riesigen Gebietes in Ebersberg vor. Diesmal geht es um Wein, der im Überfluss wächst, auf 1600 Meter Seehöhe im Nordwesten Argentiniens. Das glaubt man erst einmal nicht bei den opulenten Kamerafahrten durch eine kahle Halbwüste mit verschlungenen Riesenkakteen. Doch der Hauptort Cafayate, fast exakt so groß wie Ebersberg, profitiert von einem milden Mikroklima im Windschatten der Andengipfel, mit 360 Sonnentagen pro Jahr. Wer Ackstaller und ihren Reisegefährten beim Probieren des berühmten Weißweins zuschaut, könnte auf den Gedanken kommen, dass Ebersberg deutlich zu wenige Partnerstädte hat.